Wegehalterhaftung
- Pflaum Partner
- 24. Sept.
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Aktualisiert: vor 2 Tagen
Zur Haftung des Wegehalters nach § 1319a ABGB bei alpinen Wanderwegen – typische und atypische Gefahrenquellen im Lichte einer aktuellen OGH-Entscheidung
Die Haftung des Wegehalters nach § 1319a ABGB bewegt sich stets an der Schnittstelle zwischen den legitimen Sicherheitserwartungen der Wegbenutzer:innen und den praktischen Möglichkeiten einer sachgerechten Wegerhaltung. Insbesondere im alpinen Raum, wo die Wege naturgemäß mit spezifischen Risiken behaftet sind, stellt sich regelmäßig die Frage, in welchem Umfang ein Wegehalter verpflichtet ist, Gefahren zu erkennen, zu beseitigen oder durch hinreichende Warnhinweise auf diese aufmerksam zu machen. Hinzu kommt, dass eine Haftung überhaupt nur bei grober Fahrlässigkeit vorgesehen ist, also dann, wenn in auffallender Weise gegen die gebotene Sorgfalt verstoßen wird und ein Schaden nahezu vorhersehbar gewesen wäre.
Während eine Haftung für "atypische" Gefahrenquellen, also jene, die die Benutzer:innen nicht erwarten müssen, unbestritten bestehen kann, fallen "typische" alpine Risiken wie Steinschlag oder das Herabfallen morscher Äste regelmäßig nicht in die Verantwortlichkeit des Wegehalters. Die präzise Abgrenzung zwischen zulässiger Eigenverantwortung der Benutzer:innen und den Grenzen der Halterpflicht verdeutlicht eine jüngst ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, 3 Ob 100/24p, die sich mit einem tragischen Unfall in einer Klamm befasst.
Der Sachverhalt:
Die Kläger:innen wanderten mit ihrer vierjährigen Tochter durch eine enge alpine Klamm. Am Eingang wiesen Schilder darauf hin, dass es sich um einen "alpinen Klammweg" handle und die Begehung auf eigene Verantwortung erfolge. Während der Begehung brach ein morscher Ast von einer steilen Felswand ab und traf das Kind am Kopf, sodass es schließlich an seinen schweren Verletzungen verstarb.
Als ursächlich für das Abbrechen des Asts wurden ein kräftiges Gewitter sowie Starkregen am Vortag festgestellt. Bereits zwei Jahre zuvor war es in derselben Klamm zu einem vergleichbaren Vorfall gekommen: Eine Wanderin hatte Verletzungen durch einen herabfallenden Baumstamm erlitten. Die Gemeinde als (Mit-)Wegehalterin beauftragte daraufhin ein Unternehmen, erkennbare Gefahrenquellen zu beseitigen. Zusätzlich wurde eine jährliche Sichtbegehung durchgeführt, wobei der konkret betroffene Bereich aufgrund der topographischen Gegebenheiten nicht zugänglich war.
Der Sachverhalt erinnert an den folgenschweren Unfall in der steirischen Bärenschützklamm im Juli 2020, bei dem zwei Wanderer infolge eines Steinschlags ums Leben kamen und weitere Wanderer teils schwer verletzt wurden. In einer Stellungnahme schloss der Alpenverein Steiermark eine Haftung mit dem Hinweis aus, dass sämtliche zumutbaren Kontrollen erfolgt seien und das Ereignis als höhere Gewalt zu werten sei.
Die Entscheidung des OGH:
Der OGH stellte klar, dass sich hier das typische Risiko eines alpinen Klammwegs realisiert habe. Die Möglichkeit herabfallender Gesteinsbrocken oder Äste sei für jede:n Benutzer:in, auch ohne besondere Ortskenntnis, erkennbar und Teil der allgemein bekannten Gefahren des Gebirges. Eine weitergehende Warnpflicht treffe den Wegehalter daher nicht.
Die vorhandene Beschilderung ("Begehung auf eigene Verantwortung") wurde als hinreichend bewertet, um auf die Eigenverantwortung der Wanderer:innen hinzuweisen. Darüberhinausgehende Sicherungsmaßnahmen oder Absperrungen waren aufgrund der örtlichen Gegebenheiten weder möglich noch zumutbar.
Rechtliche Einordnung:
§ 1319a ABGB normiert die Haftung des Wegehalters ausschließlich für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit. Maßgeblich ist stets, welche Sicherungsmaßnahmen nach Art, Widmung und topographischen Gegebenheiten des Weges angemessen und zumutbar sind.
Die Judikatur verdeutlicht diese Grenzen: Grobe Fahrlässigkeit wurde anerkannt, wenn ein Wegehalter über Jahre hinweg eine durch Wurzeln verursachte Asphaltwelle nicht beseitigte oder eine jährliche Sichtprüfung vollständig unterblieb. Dagegen wurde sie verneint, wenn ein Schaden, wie etwa der teilweise Einsturz einer Brücke, gut erkennbar war und keine weitere Absperrung erforderlich erschien.
Im vorliegenden Fall hatte die Gemeinde ihre Kontrollpflichten ordnungsgemäß erfüllt; die konkrete Gefahr war aufgrund der geographischen Gegebenheiten nicht erkennbar. Vor diesem Hintergrund war eine Annahme grober Fahrlässigkeit nicht gerechtfertigt.
Fazit:
Die Entscheidung des OGH verdeutlicht eindrücklich, dass die Verantwortung des Wegehalters dort endet, wo typische alpine Risiken – wie herabfallende Steine oder Äste – zum tragbaren, für jede:n erkennbaren Gefahrenpotenzial gehören. Atypische oder unvorhersehbare Gefahrenquellen – etwa verborgene Schäden an Sicherungseinrichtungen – können eine Haftung auslösen, die bloße Exponiertheit gegenüber Naturgewalten hingegen nicht.
Für die Praxis bedeutet dies: Gemeinden, alpine Vereine und sonstige Wegehalter:innen müssen bei der Erhaltung alpiner Wege die gebotene Sorgfalt walten lassen, regelmäßig zumutbare Kontrollen durchführen und Gefahren soweit möglich minimieren. Eine generelle, umfassende Absicherung gegen sämtliche Naturgefahren ist hingegen weder erforderlich noch zumutbar. Die Eigenverantwortung der Wegbenutzer:innen bleibt im alpinen Raum ein tragendes Element – ein Grundsatz, der sowohl die Halterpflichten klar abgrenzt, als auch die Realitäten alpiner Wege reflektiert.
Diana Krainer






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